Rezension

Elisabeth Schawerda

Am Ufer einer Jahreszeit

Vierundzwanzig Gedichte mit Offsetfarblithografien von Ingrid Brandstetter

Edition Thurnhof, Horn 2020, nummerierte signierte Ausgabe

ISBN  978-3-900678-50-0

 

Lyrik, so ist oft zu hören, sei doch nichts anderes als eine Gegenwelt zur schwer erträglichen Wirklichkeit; deshalb gebe es kaum Wirkungsmächtigeres als ein wohlgesetztes Gedicht, wenn nur die ungeliebten Wahrheiten des Lebens darin nicht verleugnet und verdreht, im Poem am Ende zur Lüge werden.

Elisabeth Schawerda ist in ihrer viel bewunderten Lyrik der geforderten Lebensrealität immer treu geblieben. Mühelos gelingt es ihr auch in dem neuen Buch „Am Ufer einer Jahreszeit" eine glaubhaft realistische Sicht auf das Leben zu präsentieren, auch die rauen Seiten des Lebens mit allen Sinnen erfühlt zu formulieren; ihnen jedoch in ihrer Vielschichtigkeit zu begegnen, sie in feinnervig differenzierter Ganzheit zu beleuchten um sie, genau durchdacht, adäquat darzustellen. Das Schöne, die Lebensfreude und die Dankbarkeit für das Glück der Stunde sind aus solchen Texten wahrheitsgemäß nicht wegzudenken.

Als Autorin mehrerer preisgekrönter Bücher, darunter auch Übersetzungen, Nachdichtungen aus dem Werk eines Meisters der Lyrik wie Paul Verlaine, stellt nun Elisabeth Schawerda mit „Am Ufer einer Jahreszeit" - zusammen mit reizvollen Lithographien von Ingrid Brandstetter - einen besonders interessanten Gedichtband vor. Es ist der vierte einer kleinen Reihe in der Edition Thurnhof mit gewohnt kunstvoller Ausstattung, jedes einzelne handsigniert. Wie in den ersten drei Bänden dieser Serie schwingt auch hier sehr deutlich das Thema Venedig mit, seine Stimmung, seine Farben.

Um die Besonderheit dieser Lyrik genauer wahrzunehmen und aufzuzeigen was lyrische Sprachkunst zu geben vermag, kann es hilfreich sein, einzelne Textstellen für sich selbst sprechen zu lassen. Zeitlos erscheint der Grundton dieser vierundzwanzig Gedichte: „Zeitlos. Herbstzeitlos" in interessanter Doppelbedeutung: „Frühlingsfarben sommerüppig. / Kein Blühen ist unzeitgemäß"; und an anderer Stelle, gedankenvoll: „Die Tage beginnen mit Vorsicht, / denn alles ist kostbar." Bestens bekannt für knappe, präzise und klangvolle Wortwahl, bringt Elisabeth Schawerda lyrische Bilder von mehrfachen Dimensionen hervor: „...Voll geheimer Botschaft. / Kein Zuviel. Das Wenige auserlesen. / Mit unhörbarer Musik. Allegro moderato, passionato." Weder im Rückblick noch in der stilleren Gegenwart wird neben Schmerzlichem das Positive, die Lebensfreude verleugnet. Ein lebendiger Mensch will "Den Ruf der Unterwelt nicht hören." Sind doch noch immer „Die Räume mit Dasein gefüllt."

Den Grund für die außerordentliche Kraft dieser Wahrheit wie auch der Wahrhaftigkeit dieser Sätze glaubt der aufmerksame Leser in so mancher scheinbaren weil doppelsinnigen Widersprüchlichkeit bald bestätigt zu finden: „Gedanken laufen / ohne Zügel und Zaumzeug. / Sie weben ein Tuch / von der Unruh des Herzens durchlöchert. / Splitter verfangen sich / schneidend verletzend / und funkelnd schön."

Ebenso berühren in zu Herzen gehender Realität die „Unwägbarkeiten des Tags / Ausgeliefert dem Leben, / in dem jeder Augenblick alles ändern kann", oder die Angst vor Verdrängtem, scheinbar Vergessenem: „Es fällt, / fällt ein, / steinschwer. / Woher? / Von weit ins Heut / und weicht nicht mehr. / Geht um und wacht. / Es pocht sein Schritt / durch Tag und Nacht."             

Mit subtilem Einfühlungsvermögen und Mut zur Selbsterfahrung stellt die Dichterin am Ende eine mitmenschliche Begegnung dar. Es ist ein Denkprozess, Lernprozess. Solche Feinheiten faszinieren jeden, der mitfühlen, mitdenken und sich auf tiefgründige Betrachtung und Selbstbefragung einlassen kann und will, um Wesentliches auch für sich selbst zu erkennen und daraus seine Schlüsse zu ziehen. Wertvolle, in vielen Bereichen sehr anregende Lektüre!  

Wie tief die Blicke ineinander tauchen.

Fragend.

Das bist du. Das bist du nicht.

Das bin ich. Das bin ich nicht.

Das Unerreichbare bleibt unerreichbar.

Es gibt kein Wort dafür.

Die Freundschaft weiß es.

Die Liebe lernt es spät.

 

Rezensentin: Rosemarie Schulak

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