Rezension

Christl Greller

und fließt die zeit wie wasser wie wort

Edition lex Liszt 12

Oberwart 2018, 112 Seiten

ISBN 978-3-99016-145-6

Schon im Buchtitel steckt als Schwerpunkt das Verrinnen und Wegschwemmen von Zeit, das Abschiednehmen und Sich-Abfinden-Müssen mit der Vergänglichkeit, das Beenden und Entgleiten. Die Titel der einzelnen Gedichte setzen das fort, ebenso wie einzelne Verszeilen: Das Ticken der Uhren, das Schwingen der Sensen, das Hufklicken der apokalyptische Reiter. Stimmen und Worte werden fremd, die Stunden unscharf, es berührt das Auffinden von Requisiten verstorbener nahestehend Gewesener. Man ängstigt sich vor einem Dasein ohne Schutzzonen, ohne Schreibhöhlen als Rückzugsorte, zwischen Flaschen, Gläsern und Kram (man denke an das walisische Dichtergenie Dylan Thomas, das gleichsam durch seine exzessive Alkoholsucht für eine Art systematische Selbstvernichtung sorgte).

Wirklichkeiten werden Gegenspiegel, artikuliert wird der Anblick der Gesichter einer ebenso vertrauten wie nicht vertrauten Stadt wie Wien im Zwölf-Monate-Verlauf.

Der Heimatstadt werden gegenübergestellt der pannonische Sommer, der Sumpf, der Schwamm als feuchtweiches Monster, die Schwertlilien, die Unruheinseln, die Störche Litauens, die Horizontsonne, die Zärtlichkeit der Zeitlupe und die Achtsamkeit bei der Stachelbeerernte.

Christl Greller schrieb vor ihrer Zuwendung zur Belletristik, zur „schönen" Literatur für die internationale Werbebranche, also Marketing-Texte. Aber in knapp über zwanzig Jahren ist auch ein mengenmäßig beachtliches OEuvre entstanden, drei Bücher mit Erzählungen, ein Roman, sechs Lyrikbände, Anthologie-Beiträge, Aktivsein auf Lesereisen, im Hörfunk und im Internet kommen als Zuwaage dazu.

Ein Nachwort des Leiters der Wiener Zentralbücherei Rudolf Kraus und Illustrationen der in Kärnten geborenen Künstlerin Angelika Kaufmann, die auch Bücher von Friederike Mayröcker, Elfriede Gerstl und Julian Schutting mitgestaltet hat, ergänzen die Verstexte.

Christl Greller hat als Wahlburgenländerin den BEWAG-Literatur-Preis, als Mitglied des Österreichischen Schriftsteller/innenverbandes den Wilhelm Szabo Lyrikpreis und als Naturpoetin zweimal den Forum Land Literaturpreis erhalten. Der Literaturkreis Podium widmete Christl Greller zu einem runden Geburtstag einen Lyrik-Porträt-Band.

Bei der Rezension einer doch umfangreicheren Gedichtsammlung (mehr als 90 Gedichte) sollten auch stets beispielhaft zumindest ein bis zwei Textproben zitiert werden. Der Besprecher dieses Bandes hat sich für zwei bereits öffentlich vom Kultursender Ö1 hervorgehobene Gedichte entschieden.

2015 feierte Ö1 das 20-Jahr-Jubiläum der Sendung „Nachtbilder. Poesie und Musik". Zu diesem Anlass wurden 20 Lyrikerinnen und Lyriker eingeladen, ein Gedicht vorzutragen. Christl Greller war mit „märz-herz" dabei

märz-herz (Gedichttext S. 21)

noch immer der wind schneidend über land, und knirschen streusandreste unterm schritt. darüber aber die vögel: orchesterprobe, vielstimmiges stimmen. die knospen platzbereit,

junge frau mit kinderwagen, und ist der bach mit leuchtstift gezeichnet ins dürre gras, darin wie üppige cup cakes primelpolsterparade. sonne auf meinem glück. und schwenkt die weide tausend kätzchenfahnen gegen die messer im wind.

2017 präsentierte Ö1 zusammen mit ORF-Teletext die Reihe „Schirm-Gedichte", in der bekannte österreichische Lyrikerinnen und Lyriker auf dem Fernsehbildschirm ein Gedicht vorstellten. Bei der nachfolgenden Publikumswahl errang das Gedicht „fremdenzimmer" von Christl Greller den 1. Platz.

fremdenzimmer (Gedichttext S. 27)

fremde zimmer, unvertraute hörbegleitung. quillt musik durch die wand, sehnsuchtstrunken, oder. prasseln der wolkenbruchdusche von nebenan, oder ist die wand nur gips und dünn hinter dem kopfteil des bettes, und körper auf körper unter körper neben körper gestöhnt geseufzt geschrien – detailgenaue vorstellung, nachtlang, oder. hörst du schrittgeräusche, marschgesänge gangentlang beim veteranentreffen, oder. stille.

völlige stille. manchmal entferntes wassergeräusch im wandrohr und vertieft sie: stille, völlig ungewohnt.

Zum Abschluss allerbeste Gratulation zu diesem Opus.

Rezensent: Alfred Warnes

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