Rezension

Klaus Ebner

Auf der Kippe

Prosa

BoD – Books on Demand, Norderstedt 2020, 151 Seiten

ISBN 973-3-750470163  

 

Der formale Aufbau könnte einfacher nicht sein: Es handelt sich durchwegs um kurze Prosastücke mit Titeln, die aus einem Wort bestehen und die alphabetisch geordnet sind „abendlich“, „aufmerksam“, „augenzwinkernd“, usw. Den kurzen Texten ist wieder gemeinsam, dass sie aus einem einzigen Satz bestehen. Dieser Satz ist allerdings lang, oft mehr als eine Seite. Damit sind aber auch sogleich die Grenzen gesetzt und die Ausdrucks- und Erzählweise muss ganz bestimmten Regeln folgen.

In einem Satz auszudrücken, was man sagen will, bedarf sowohl Disziplin als auch Virtuosität. Einerseits ist ein Satz eine sehr kurze Ausdrucksform,

andererseits kann ein Satz von einer gewissen Länge verblüffend vieles ausdrücken, wenn er, wie hier verwendet wird. Der lange Satz eignet sich zum Philosophieren und zum Geschichten erzählen gleichermaßen. Der lange Satz kann so der Form der Kurzgeschichte sehr nahekommen, muss sich aber doch stets auf die Möglichkeiten beschränken, die ein einziger Satz als Ausdrucksform anbietet.

Um die Möglichkeiten des Satzes optimal zu nutzen kommt es zu Verschachtelungen, die auch in Richtung Lyrik führen, denn der lange Satz bekommt durch seine Ausdehnung automatisch etwas Fließendes. So entsteht ein Zwischending zwischen kurzer Prosa und langer Lyrik mit all seinen Vor- und Nachteilen. Die Sprachschönheit geht zuweilen Hand in Hand mit einer schweren Verständlichkeit des Inhalts. Die Grade der Zugänglichkeit schwanken. Es gibt sehr leicht verständliche Sätze und manche, an deren Aussage schwer heran zu kommen ist, was vom Leser aber auch als Herausforderung begriffen werden kann.

Da es sich um ein Zwischending von Lyrik und Prosa handelt, geht es bei einem Teil der Texte mehr um den Aussagewert, bei den anderen mehr um Poesie. Ironie spielt bei vielen dieser Sätze eine große Rolle. Diese Ironie ist ihrerseits wieder doppelbödig, weil es nicht immer klar ist ob es sich tatsächlich um Ironie handelt. Manches, was man für Ironie hält, könnte durchaus so gemeint sein, wie es scheint, und anderes voller Ironie sein, was man für ernst gemeint hält.

Es wird also in vieler Hinsicht ein Spiel mit dem Leser gespielt, auf das er sich einzulassen bereit sein muss.

Die Palette der Themen ist groß. Die Sätze wenden sich weltpolitischen Fragen genau so zu wie kleinen Alltagsproblemen, Selbstmitleid, Egoismus, der Arbeitswelt, der Überforderung des Einzelnen, Erotischem und sehr oft der Scheidungsproblematik, wobei oft die Perspektiven gewechselt werden. Die Texte werden einmal aus der Sicht des allwissenden Erzählers, des Ich-Erzählers, oder in der 3. Person erzählt.

Die präzise, detailgenaue Sprache, die abwechslungsreiche Thematik und sogar das Spiel mit dem Leser macht „Auf der Kippe“ zu einem anspruchsvollen Lesevergnügen, das schon mit der Frage beginnt, was mit dem Titel gemeint ist. Auch dazu gäbe es mehrere Interpretationsmöglichkeiten.

 

Rezensent: Bernhard Heinrich

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