Rezension

Regine Koth Afzelius

Der Kunstliebhaber

Roman

Edition Roesner Krems an der Donau 2019, 147 S.

ISBN 978-3-903059-79-5

 

Zu den inhaltlichen (ikonografischen, namentlich ikonologischen) Darlegungen ließe sich ziemlich viel ergänzen, einiges einwenden, sogar in Frage stellen. Doch eine nachgelieferte kunsthistorische Prüfung würde (ungeachtet der in den Inspirationsquellen aufgeführten wissenschaftsnahen Publikationen) dem Impetus des Buchs beileibe nicht entsprechen: So stark die Bildbetrachtung, gesamthaft, im Detail, im Vordergrund zu stehen scheint, der kurze Roman breitet wesentlich eine Wirkungsschau des subtilen Ergründens anhand des Kunstliebhabers (Leo) – wegen dieser Benennung gerade nicht als Fachperson gekennzeichnet – sowie der Mitspielerin seiner intensiven Denkstunden (Claire) – ganz ohne einschlägige Vorbildung – aus. Die intensive Beschäftigung mit berühmten Gemälden fast ausnahmslos des 16. Jahrhunderts erscheint demnach als Vehikel für eine komplexe, vielfach sich mit den Werkinterpretationen verzahnende Beziehungsstudie.

Der Stil des ausgeprägt aus seinem Ego heraus agierenden Kunstliebhabers entspricht, vorsichtig ausgedrückt, nicht so ganz den heutigen Gewohnheiten. Das Fremdartige beginnt mit der (seit langem ausgestorbenen) Benennung seiner Partnerin in der dritten Singularform und bewegt sich in Aussagen, die unabhängig von seltenen Fremdwörtern (etwa Eidetiker) reichlich ausgeklügelt daherkommen, jedoch mit eingestreutem schlichtem Wiener Dialekteinschlag ein eigene Bandbreite gewinnen. Apropos: obwohl Werke italienischer Künstler im Fokus stehen, spielt sich der Großteil des «Geschehens» aufgrund von Reproduktionen im Wiener Umfeld ab. Der Habitus des Liebhabers stellt sich über die gerne die Pedanterie kratzende Eigenwilligkeit der Bildbetrachtung hinaus als in hohen Graden manieriert dar: wohl gedacht als Äquivalent zur spitzfindigen Vorgangsweise bei der Deutung mehrheitlich «manieristischer» Gemälde mit reichlichem lateralem Denken als Perpetuum mobile der Fixationen; seine Freundin befindet, halb bemängelnd, halb bewundernd, jedenfalls den Eindruck des Lesers treffend: entgleister Eigensinn. Eigentlich passen die beiden mental nicht zusammen, deshalb fragt man sich beim Lesen des Öfteren, warum die Dame, immerhin Tierärztin und geschieden-selbständig, dem allzu oft regelrecht Ekelhaften nicht endlich (vornehm formuliert) den Laufpass gibt. Nun: die Kunstwelt eben verschweißt sie unlösbar zum ungleichen Paar. Er dominiert in der Beziehung nach seinem Gusto, im Praktischen mit willkürlicher Zeiteinteilung, in waghalsigen Schlüssen, in den Bemühungen um Aufklärung mit je nach Werk wechselnder Annäherungsweise von prompt einsetzender Detailklauberei über theatralisches Nachspiel oder locker hingeworfenen Hinweisen im Interview bis zur Postkarte. Die Dame nimmt die Eskapaden seiner Sichtweise und Formulierungen bald begierig auf, wobei in der Anbetung des Eingießer(s) seines Geists die lange unerfüllte sexuelle Faszination eine bedeutende Rolle spielt: die er in seinen Bildinterpretationen und in daraus erwachsenden Attitüden mehr wie nur subkutan zu wecken weiß. Die faszinierte Elevin versucht sogar, das von ihr Aufgesaugte an einem Beispiel (Venus von Tizian) en famille nachzuahmen – mit allenfalls ansatzweisem Erfolg, da diese sich nicht auf kühne Finessen einlässt (nicht zuletzt der Frage, ob die in den Schoss gelegte Hand eine Masturbation nahelege) – und muss eine halböffentliche Veranstaltung (zu Leonardos Abendmahl) mangels Erscheinen des Herrn allein wenngleich ganz in seinem Sinn im turbulenten Meinungsfeuer bestehen. Eine kunstaffine Zwischendurch-Hilfe erscheint ein paar Mal in dem saloppen Max, Freund der Claire, Journalist und Fotograf, der das tertium comparationis des normalen Menschenverstands einbringt, im Buffo-Part das Überkandidelte karikierend.

Jedes der VIII Bilder erlaubt ein Verwirrspiel, dem man, obgleich persönlich angelegt, selbst auf den Leim gehen kann. Nun ja, die Augen tasten hier halt die Bilder ruckartig ab (was einer wissenschaftlichen Analyse nicht unbedingt zuträglich ist). Deshalb werden Einzelaspekte in eine voltigierende Folge gezwungen, die scheinbar auf eindeutige Ergebnisse verweist. Welche, darin liegt ein erheblicher Reiz, nicht bis zum Ende ausdiskutiert, ergo letztlich in ihrer Relevanz dem Urteil des Lesers überlassen werden. Womit sich der Kreis schließt: Auch diese Rezeption erweist sich in der stets aufs Neue durchbrechenden Aktualität der Sichtweise – die sich das Zurücktreten des Künstler-Gesamtwerks oder der Einordnung in verschlungene Zeitumstände erlauben darf – einmal mehr als zeitgeschichtlich gebunden und erlaubt damit einen amüsanten weil anregungs-, hinweis- ja finessenreichen, doppelgleisigen Gang durch das Kunstgeschehen vergangener Zeiten.

 

Rezensent: Martin Stankowski

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